Naturkontakte – Waldschnepfen auf Zollverein

Waldschnepfe im Laub - © Sabine Fabritz

Nachts huschen lichtscheue, komische Vögel über Industriebrachen im Ruhrgebiet. Automatische Infrarot-Kameras machen sie für uns sichtbar. Das passiert zurzeit auf Zeche Zollverein in Essen: In tiefster Dunkelheit erfasst eine automatische Infrarotkamera Schnepfen. Genauer gesagt: Waldschnepfen.

Sie sind hier, weil sie als Zugvögel auf der Durchreise von ihren Brutgebieten in Nordosteuropa zu ihren Winterquartieren in Südwesteuropa bei uns vorbeikommen. Ab etwa Oktober bis in den späten November hinein überqueren sie das Ruhrgebiet. Auf ihrer langen Reise brauchen sie „Rastplätze“. An diesen Rastplätzen müssen sie Energie nachtanken, das heißt, sie müssen in Ruhe fressen können. Und wo im Ruhrgebiet ist es nachts so dunkel und ruhig, dass Waldschnepfen in Ruhe fressen können? Es sind die kleinen Robinien- und Birkenwälder der Industriebrachen, der Halden und der Bergsenkungsgewässer, auf denen es nur wenige oder gar keine Lichtquellen wie Straßenlaternen gibt. Und dazu gehören große Flächen des Unesco Weltkulturerbes Zeche Zollverein in Essen. Hier „auf“ Zollverein gibt es sogar für das Besucherpublikum abgesperrte Bereiche. Und die sind bestens geeignet als Rastplatz für die Waldschnepfen auf ihrer langen Reise, die sie zweimal im Jahr, im Herbst und wieder zurück im Frühling, absolvieren müssen.

Da Waldschnepfen nachts aktiv sind und tagsüber gut getarnt am Boden ruhen, hat kaum jemand je eine Waldschnepfe gesehen. Erst recht nicht mitten im Ruhrgebiet. Denn diese Vögel drücken sich mit ihrem braun-gefleckten Federkleid in der Streuschicht des Waldbodens herum und ruhen. Dort gehen dann ihre Konturen nahezu nahtlos in das sie umgebende Falllaub über. Diese Tarnung funktioniert ganz hervorragend in den Wäldern der großen Bergbau- und Kokerei-Brachflächen im Ruhrgebiet. Wie Eulen oder Fledermäuse werden sie ab der späten Dämmerung und dann die ganze Nacht hindurch aktiv und stochern mit ihrem langen Schnabel im Boden nach Würmern und allerlei Insekten.

Auffälliges Merkmal der Waldschnepfen sind die Augen: als nachtsichttaugliche Augen sind sie groß. Zudem sitzen sie seitlich am Kopf. Damit erfassen sie einen Blickwinkel von bis zu 180°. So können die Waldschnepfen auch nach hinten schauen. Das hat die Waldschnepfe aber auch bitter nötig, denn sie hat in ihren Wäldern viele Feinde zu fürchten, und das auch des Nachts. Vor allem Marder, Füchse und „Wildkatzen“. Auf den Industriebrachen im Ruhrgebiet gibt es zwar keine Wildkatzen, dafür aber unsere umherstreunenden Hauskatzen und Hunde. Und natürlich auch Füchse. Auf Zollverein lebt mindestens ein „Rudel“ (= Familienverband) Füchse.

Waldschnepfen sind recht kleine Vögel, zwischen 33 – 35 cm groß. Eine ausgewachsene Waldschnepfe erreicht eine Flügelspannweite von bis zu 65 cm bei bis zu 440 g Gewicht. Zum Vergleich: Ein Haushuhn wiegt zwischen 1200 und 1500 g. Ist also nicht viel dran an der Waldschnepfe. Und dennoch gehören sie in Deutschland immer noch zu den Tierarten, die bejagt werden dürfen. Das Bundesjagdgesetz (BJagdG) erlaubt die Bejagung vom 16. Oktober bis zum 15. Januar eines jeden Jahres. Sie wird als „Speisevogel“ verwertet. Da aber mit unter 500 g nicht viel dran ist an einer solchen Schnepfe, gilt sie eher als Delikatesse, als „Luxus-Essen“.

Waldschnepfen heute noch zu schießen und zu essen ist eher „Tradition“ als Notwendigkeit.

Wo leben Waldschnepfen, wenn sie gerade mal nicht im Ruhrgebiet auf einer Industriebrache Rast machen? Überall in Europa in größeren, zusammenhängenden und naturnahen Waldgebieten mit Lichtungen. Dicht geschlossene Forstplantagen und dunkle Fichtenbestände werden gemieden. Bevorzugt nutzen die Vögel dabei die feuchten und strukturreichen Stellen mit gut entwickelter Kraut- und Strauchschicht sowie einer weichen, stocherfähigen Humusschicht. Hier brüten sie gut getarnt auf den Waldböden.  Das Nest wird in einer Mulde am Boden angelegt.

Nach der Rückkehr aus den Überwinterungsgebieten im Mittelmeerraum oder an der Atlantikküste erfolgt das Brutgeschäft von März bis Ende Juli. Das heißt auch: „Unsere“ beiden Waldschnepfen auf dem Zechengelände von Zollverein werden wir wahrscheinlich im März wieder sehen. Dann nämlich sind sie auf dem Rückflug in ihr Brutgebiet.

In Nordrhein-Westfalen kommen Waldschnepfen als Brutvögel noch im Bergland und im Münsterland vor. Richtig häufig ist sie aber nicht mehr, in der Roten Liste von 2021 ist sie in der Kategorie 3 (gefährdet) eingestuft.

Gute Beschreibungen der Waldschnepfe finden sich auf den Internetseiten vom  NABU und bei Waldwissen.

Bei unseren Freunden von Zollverein gibt es auch einen kleinen Artikel dazu:

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