Wilde Kaninchen sind aus dem Ruhrgebiet kaum wegzudenken, überall hoppeln, buddeln und schnuppern sie. Doch was heute kaum noch einer weiß: Unsere Kaninchen, die in Parks, Gärten, Friedhöfen, Sportplätzen und Grünanlagen aller Art fleißig das Gras kurz halten und jede Menge Junge in ihren unterirdischen Kaninchenbauten großziehen, stammen ursprünglich von der iberischen Halbinsel. Aber schon in der Antike wurden sie dann in Mitteleuropa eingeführt. Waren es mal wieder die Römer? Keiner weiß das so recht…
Keine Grünfläche ohne Kaninchen
Heute gehören Kaninchen im Ruhrgebiet zum gewohnten Bild in den meisten Grünanlagen. Selbst auf kleinen Verkehrsinseln, um die herum lärmender Verkehr tobt, wie beispielsweise auf dem Limbecker Platz in Essen, fühlen Kaninchen sich wohl. An vielen dieser Stellen sind sie nur ab der Abenddämmerung und des Nachts zu sehen. Denn ständig sind sie auf der Hut und ab zehn Metern Nahdistanz flüchten sie in ihre Bauten. Das hat auch einen guten Grund: Als „handliche“ kleine Säugetiere sind sie Nahrung für Viele. Ob Fuchs, Greifvögel oder auch so mancher Haushund, der an ihnen seinen Jagdtrieb auslebt, alle stellen ihnen nach. Und der Autoverkehr tut sein Übriges dazu! Bei so viel Feind und so viel dicht befahrenen Straßen müssten die Kaninchen eigentlich längst ausgestorben sein. Aber sie haben ein Mittel gegen das Aussterben, einen enormen Kindersegen. Durch eine nur vier bis fünf Wochen kurze Schwangerschaft sind Kaninchen mit fünf bis sieben Nachkommenschaften pro Jahr gesegnet. Dabei kommen jeweils fünf bis sechs Babys zur Welt. Der gesamte Kindersegen pro Kaninchenmutter beläuft sich damit auf bis zu 42 Kaninchenbabys im Jahr.
Bei guter Pflege der Babys und reichlich Grünfutter für die Mutter kann also ein Kaninchenpaar im Jahr mehr als 40 Sonntagsbraten liefern! So wurde das Kaninchen schnell zum Fleischlieferanten des „kleinen Mannes“. Aus dem scheuen, flinken Wildkaninchen wurde das handzahme Hauskaninchen.
Ein Stallhase für den Sonntagsbraten
Als Mitte des letzten Jahrhunderts, insbesondere in der „schlechten Zeit“ nach dem zweiten Weltkrieg im Ruhrgebiet, noch der familiäre Speiseplan mit Fleisch aus der hauseigenen Kleintierhaltung ergänzt werden musste, hießen Hauskaninchen „Stallhasen“. Der Hasenstall war fester Bestandteil der Stahl- und Bergarbeitersiedlungen entlang der Emscher. Praktisch hinter jedem Haus befand sich damals ein kleiner Nutzgarten mit Hasenstall. Oft war es Aufgabe der Kinder, die Kaninchen zu füttern, bis dann anlässlich eines ganz besonderen Ereignisses (Ostern, Weihnachten, Familienfeste) die Kaninchen als Sonntagsbraten auf den Tellern landeten. Das löste oft Dramen bei den Kindern aus, die die Kaninchen zwischenzeitlich längst liebgewonnen hatten. Die wenigen noch lebenden Uromas und Uropas wissen heute noch von den damaligen familiären Kaninchen-Schlachtungs-Dramen zu erzählen.
Vom Sonntagsbraten zum Kult!
Dieser Sonntagsbraten ist zwischenzeitlich dem alltäglichen Fleisch à la Salami, Currywurst, Schnitzel & Co gewichen, aus der Nutztierhaltung des Stallhasen wurde Hobbyhaltung und Liebhaberei: „Dalmatinischer Rex“, „Deutsche Riesenschecken“ oder „Miniwidder“ sind die Namen für nur drei der vielen heutigen Zuchtformen des Kaninchens. Zuchtvereine, Ausstellungen mit Preis-Wettbewerben sowie internationaler Handel mit besonders prämierten Zuchttieren kennzeichnen heute die Kaninchen-Szene. Ganz so, wie das bei anderen Haustieren wie Hunden, Katzen, Hühnern oder Pferden der Fall ist. In Deutschland züchten knapp 150.000 Kaninchenzüchter 88 zugelassene Rassen, in annähernd sieben tausend Vereinen organisiert. Im Ruhrgebiet ist die Kaninchenzucht fest etabliert, so gibt es in fast jeder Ruhrgebietsstadt eine jährliche Hauskaninchen-Ausstellung mit Prämierung der besten Zuchtergebnisse.
Doch wie viele Vereine leiden auch Kaninchenzuchtvereine heute unter Nachwuchsmangel, also ran ans Fell!
Fotos: Alexander Krebs, Peter Schütz, Dr. Daniel Segelcke
Text: Peter Schütz, Volker Kienast