Vor Weihnachten fühlten Heuschnupfen-Geplagte, dass es offenbar schon Frühling wird. Und tatsächlich, neben geschmückten Weihnachtsbäumen blühten in diesem Winter im Ruhrgebiet die Haselsträucher. Zu Sylvester tauchten dann erste Osterglocken so manche Verkehrsinsel in eine gelbe Blütenpracht. Fast könnte man behaupten, der Winter 2015/12016 wäre im Ruhrgebiet schlichtweg ausgefallen – zumindest im flachen nördlichen Teil, der rund 50 Meter über dem Meeresspiegel liegt. Lediglich der Januar bot den Bewohnern eine knappe Woche Frost, der Februar ein paar wenige Tage, jeweils mit etwas Schnee im südlichen Teil des Ruhrgebiets, der mit rund 250 Meter ü. NN etwas höher liegt. Dazu passt die Hochwasserlage der Flüsse und Bäche im Februar: Nicht etwa wegen der Schneeschmelze treten Rhein, Ruhr & Co über die Ufer, sondern wegen langanhaltender Regenfälle!
Die Frühlingsboten kamen früh in diesem Jahr: Weiße Schneeglöckchen, Krokusse in allen Farben, gold-gelbe Forsythien-Sträucher und erste Buschwindröschen tauchen zurzeit Gärten und Parks zunehmend in ein farbenfrohes Blumen-Meer. Nicht mehr lange wird es dauern, bis auch Tulpen, Kirschen und Äpfel blühen. Unser Frühjahr ist also längst gestartet. Das zeigen auch Vögel und Amphibien: Jeden Morgen ab ungefähr 6:00 Uhr setzt der alljährliche Gesangswettbewerb der Brutvögel um die besten Brutreviere, die besten Baumhöhlen, Mauernischen und Nistkästen ein. Und abends? Die ersten Kröten, Frösche, Molche und Feuersalamander sind unterwegs zu ihren Tümpeln und Teichen. So haben Naturschutzvereine im Ruhrgebiet längst die „Amphibienschutz-Zäune“ entlang der Straßen aufgebaut, rund einen Monat früher als in den letzten Jahrzehnten.
Aber zurück zu den Frühlingsblumen: Krokusse, Märzenbecher, Schneeglöckchen, Weißes und gelbes Buschwindröschen, Osterglocken oder Tulpen sind eine ganz besondere Sorte von Blumen: Sogenannte „Frühjahrsblüher“. Doch was sind eigentlich „Frühjahrsblüher“ genau?
Es gibt zwei Gruppen von ihnen:
Erstens: Zierpflanzen, deren Wildformen ursprünglich aus Süd- und Südosteuropa sowie aus Kleinasien stammen. Sie sind bunt und großblütig, nach dem tristen Grau des Winters fallen die Farbkleckse sofort auf. Dazu gehören z.B. Winterlinge, Osterglocken, Krokusse, Schneeglöckchen, Hyazinthen und Tulpen. Sie sind als Zierpflanzen in Parks, Gärten und auf Verkehrsinseln zu finden. Mittlerweile haben sie sich an vielen Stellen „selbstständig“ gemacht, d.h. sie sind verwildert.
Zweitens: Heimische „Frühjahrsblüher“ aus unseren Wäldern. Sie sind eher kleinblütig, oft unscheinbar und fallen erst bei genauerem Hinsehen auf. Sie blühen, bevor die Bäume belaubt sind und das Kronendach kaum noch Licht an den Boden lässt. Dazu gehört z.B. das weiße Buschwindröschen, weiß blühender Sauerklee, gelbes Scharbockskraut oder der weiß- und violett blühende Lerchensporn. Diese Pflanzen kommen auch im Ruhrgebiet bis heute vielerorts wild vor. Sie wachsen in den Buchenwäldern an der Ruhr, im Emscherbruch, in vielen Parks und auf Friedhöfen mit altem Baumbestand, an unbefestigten Böschungen, an Wegrändern oder auf den Brachflächen.
Alle Frühblüher überdauern den Winter in der Erde in Form von Knospen tragenden Zwiebeln, Knollen, Wurzelsprossen oder Wurzelstöcken. Zwiebel, Knollen & Co fungieren als Energiespeicher, also als „Akkus“, in denen die im zurückliegenden Jahr aufgenommen Nährstoffe gespeichert sind. Beginnt das neue Jahr, ermöglichen diese „voll aufgeladenen Akkus“ aus dem Stand den sofortigen buchstäblichen Kaltstart! Manche von ihnen sind zusätzlich auch noch frosthart. So schadet z.B. Osterglocken oder Schneeglöckchen auch ein später Wintereinbruch im März nicht: Sie haben als „Frostschutzmittel“ Schleimstoffen oder Salze in Stängel, Blättern und Blüten. Durch diese Strategien sind alle Frühblüher zusammen mit den Weidenkätzchen eine Art Über-Lebensversicherung für Bienen, Hummeln und Schmetterlinge: Ihr Blütennektar ist die erste Nahrungsquelle, die sofort nach Winterschlaf zur Verfügung steht! Und dann kann auch der Sommer gerne früh kommen . . .
Wer das Frühjahrsblühen erleben möchte, muss dazu nur durch die Stadt schlendern und wird dabei an jeder Ecke fündig werden.
Einige Standorttipps:
Im Norden Duisburgs, in der Mommniederung bei Voerde, können jedes Jahr Tausende weiße und violett blühende Lerchensporne an Feldwegen bestaunt werden, ein ideales Ziel für eine Fahrrad- oder Fototour. Infos gibt’s z. B. bei der Naturschutzstiftung Niederrhein
Naturschutzstiftung Niederrhein
Text: Peter Schütz und Volker Kienast
Fotos: © Wildes Ruhrgebiet – Stefan Fabritz, Alexander Krebs, Dr. Daniel Segelcke, Peter Schütz, Robin Schütz